Die Meistersinger von Nürnberg
Oper von Richard Wagner
Oper Bonn
Musikalische Leitung: Dirk Kaftan
Bühne/Kostüme: Timo Dentler & Okarina Peter
Dramaturgie: Polina Sandler
Choreographie: Sabine Arthold
Pressestimmen
Björn Höcke auf der Bühne – Neue „Meistersinger“ am Theater Bonn
Die Meistersinger hatten in Bonn Premiere in der Inszenierung von Aron Stiehl, dem Intendanten des Stadttheaters Klagenfurt. Aron Stiehl inszeniert mit großer Innigkeit Richard Wagners Meistersinger an der Oper Bonn, politisch gegenwärtig und doch rheinisch frohgesinnt. Großer Jubel!
Deutschlandfunk, 5.10.2024
Aron Stiehl inszeniert in Bonn Wagners „Meistersinger von Nürnberg“ mit karnevaleskem Lokalkolorit und politischem Subtext. Kunst, das ist die Lebensversicherung gegen Populismus!
Endlich bekommt man die Beckmesser-Harfe einmal zu Gesicht. In Bonn bringt Beckmesser die Harfe gleich mit zum Ständchen samt Harfenistin in Röckchen und Schleifchen. Mit säuerlicher Miene erledigt sie den Job, rächt sich aber geschäftstüchtig. Ein ums andere Mal hält sie die Hand auf, die emotionale Notlage des Merkers gnadenlos ausnutzend, und setzt das Spiel nicht eher fort, bis sie wieder einige Scheinchen reicher ist.
Beckmesser, im eleganten, für die späte Uhrzeit schön unpassenden morning coat, muss abdrücken und sieht sich nun den ausufernden Präludien der Künstlerin ausgesetzt. Zwei Lehrbuben – der eine hat den Kopf meist hinter einem Reclam-Heft, der andere zwischen Kopfhörern – gehen Beckmesser wie der mürrischen Harfenistin ordentlich auf den Nerv. Wie die Gehilfen des Landvermessers in Kafkas «Schloss»-Roman kommen sie gleichsam zum Fenster wieder herein, wenn sie durch die Türe hinauskomplimentiert wurden. Zu außergewöhnlich scheint das nächtliche Ständchen, zu spektakulär das klampfige Instrument, zu anziehend die übel gelaunte Harfenistin.
In dieser vom Regisseur Aron Stiehl kunstvoll komponierten Comedy-Szene ist der Grundstein gelegt für eine feine Wendung: Sixtus Beckmesser wird hier zum Liebling des Publikums und damit völlig rehabilitiert.
Die Pantomime im dritten Akt, wenn Beckmesser in Hans Sachs´ Haus eindringt und den Zettel mit dem Preislied entwendet, wird zur glanzvollen Solonummer: Im kreisrunden Lichtspot erscheint er auf der Bühne des Veranstaltungsraums, in dem diese «Meistersinger» spielen, nimmt voll Bühnengrazie die Ovationen eines fiktiven Publikums entgegen, legt sich vor einer Beethoven-Büste in den Staub und wird schließlich von Richard Wagner selbst beehrt, der im Theaternebel hereinschwebt und seine Zettelbotschaft überreicht: «Kinder, schafft Neues!»
Das Volksfest zum Johannistag ist bei Stiehl nichts anderes als – ganz lokal koloriert – eine Karnevalssitzung mit Elferrat (die Meister) und Unterhaltungsprogramm (sämtliche Zünfte, die sich auf der Bühne präsentieren). Die «Mädel von Fürth» sind Funkenmariechen, die sich ins Treiben des Karnevalsvolks mischen. Stiehl arrangiert diese Szenerie mit überlegener Virtuosität: untrüglich im Gefühl für das Timing, sicher im Umgang mit den Massen an Darstellerinnen und Darstellern, besessen von Details, die ein solches Wimmelbild lebendig erhalten. Ganz selbstverständlich mischen sich im Bild vom Karneval altdeutsche Tradition und komödiantische Brechung, die folkloristische Peinlichkeit von Wagners Festwiese erscheint nonchalant aufgehoben in eine Anmutung des ironisierend ernsthaften.
Elegant meistert Regisseur Stiehl auch die berüchtigte Ansprache des Hans Sachs, als Walther von Stolzing recht hochnäsig die Meisterwürde ablehnt. Da packt ihn der Schuster unsanft an der Schulter, denn plötzlich geht es hier ums Ganze. Als Feinde des «Deutschen Reiches» erscheinen die Diktatoren und Populisten dieser Welt: Putin, Trump, Meloni, Höcke. Sachsens Rede wird zur Beschwörung des Kulturellen gegen den keimenden Barbarismus, das Schlussbild gerät zum anrührenden Statement: Die Chorsänger fluten den Zuschauerraum und halten Schilder in die Höhe mit den Namen deutscher Meisterinnen und Meister.
Von Brahms reicht das bis Karlheinz Stockhausen, von Gabriele Münter bis Fatih Akin, von Ruth Berghaus bis Loriot. Mit solch einer Phalanx im Hintergrund müssen sich böse Geister doch wohl bannen lassen?!
Von den bösen Geistern weiß man seit dem zweiten Akt, als sich im Trubel der Prügelfuge ein Stück Holzverkleidung von der Stirnseite des Veranstaltungsaales löst und Reichsadler und Hakenkreuz zu erahnen sind. Man hatte schon ein ungutes Gefühl beim Blick auf die Granitwände, auf das schwere Holzfurnier und die Messing-Applikaturen an Lampen und Türen. Sind das die 1950er- oder vielleicht doch die 1930er-Jahre, die Timo Dentler und Okarina Peter mit ihrer Ausstattung auf die Bühne gebracht haben? Beides, lernt man nun. Übertünchte Vergangenheit, in der sich, gleichwohl nicht unsympathisch, neue deutsche Vereinsmeierei abspielt. Die Nazi-Assoziation zum Gewaltanfall der Nürnberger Prügler ist keine neue Idee, entfaltet im plötzlichen Wechsel mit der temporeichen Komödie aber jähe Wirkung. Die trügerische Stabilität der Verhältnisse wird zum Thema dieser «Meistersinger» verbunden mit dem Plädoyer für die Kultur als stabilisierendem, die Humanität wahrendem Faktor. Der Beifall des Publikums am Ende wirkt enthusiastisch, beglückt und ermutigt. Wagners Vorstellung von einem Festspiel, das den Betrachter verändert und bestärkt zurücklässt: Aron Stiehl hat sie in Bonn auf eine ganz aktuelle, humoristisch grundierte Weise verwirklicht.
Stiehls Inszenierung, die es in handwerklichem Können, in Fleiß und komödiantischer Phantasie mit der Bayreuther Produktion von Barrie Kosky aufnehmen kann, hält das gleichwohl aus.
Opernwelt, 11/2024
Meistersinger – Wagners Deutschtum gegen Populisten gewendet
Richard Wagners „Meistersinger“ rufen zur Verehrung „deutscher Meister“ auf – das gilt seit 1945 als problematisch. Doch gerade heute gilt es auch alte und neue deutsche Meister zu verteidigen, wie eine Inszenierung in Bonn Zeigt:
Erst warnt Hans Sachs, der Held der Oper, vor „welschem Dunst mit welschem Tand“ – von fremdländischem Gehabe soll also die größte Gefahr für die deutsche Kultur ausgehen. Dann stimmt der Chor in ein Lob der heil’gen deutschen Kunst“ ein: „Ehrt Eure deutschen Meister, dann bannt ihr gute Geister!“
So enden Richard Wagners „Meistersinger von Nürnberg“. Wen möchte es da wundern, dass das Publikum im nationalistischen Bayreuth der Zwanzigerjahre gerne „Deutschland, Deutschland über alles“ anschloss, dass der junge Hitler sich Sachsens Ansprache abgeschrieben haben soll, dass die „Meistersinger“ im Dritten Reich zur nationalsozialistische Festoper par excellence wurden?
Ebenso wenig wundert es, dass eine solche Apotheose der deutschen Kunst seit 1945 als hochproblematisch gilt. Anfangs flüchtete man sich noch in historische oder abstraktunpolitische Inszenierungen, doch als die Aufarbeitung der deutschen Vergangenheit immer tiefer bohrte, versuchten mehr und mehr Regisseure, sich von Sachs und dem ihm zujubelnden Volk zu distanzieren. Peter Konwitschny ging in Hamburg 2002 sogar so weit, die Schlussansprache für eine Diskussion über ihre Problematik zu unterbrechen.
Aron Stiehl hat nun einen anderen, überraschenden Umgang damit gefunden. In seiner Inszenierung der „Meistersinger“, die derzeit in Bonn zu sehen ist, laufen zur Illustration des „welschen Tands“ Masken von Alice Weidel, Björn Höcke, Donald Trump und anderen Rechtspopulisten über die Bühne. Die Schlusszeilen intoniert der Chor mit enthusiastischer Wucht, hält gleichzeitig aber auf den ganzen Saal verteilt Schilder mit Namen in die Höhe, die zeigen, was unter „deutschen Meistern“ zu verstehen ist: Goethe, aber auch Gabriele Münter, Thomas Mann, aber auch Saša Stanišić.
Das ist doppelt klug gedeutet. Erstens ist die deutsche Kulturtradition heute tatsächlich durch jene gefährdet, die sie zu eng und einschränkend verstehen. Neben Puritanern auf der Linken sind das eben auch jene Populisten auf der Rechten, die zum Beispiel das Bauhaus am liebsten vergessen machen würden (so zuletzt die AfD in Sachsen-Anhalt).
Zweitens plädieren Wagners „Meistersinger“ trotz ihres nationalstolzen Schlusses keineswegs für ein blindes Fortschreiben der Tradition. Vielmehr wird die Regelversessenheit der Nürnberger Meistersingerzunft durchgehend karikiert, neue Impulse kommen vom stadtfremden Walther, und Hans Sachs ist deswegen ein Held, weil es ihm gelingt, eine Synthese aus Fremdem und Eigenem, Neuem und Altem herzustellen.
„Deutsche Meister“ sind demnach nicht nur die alten Klassiker, sondern all jene, die sich in deutschen Traditionen einschreiben und sie dabei verändern. Das Bonner Publikum wollte sich zu solchen Meistern gerne bekennen: tosender Applaus.
Frankfurter Allgemeine, 16.11.2024
There is plenty of comedy, and director Aron Stiehl has devised an ingenious concept to combine the two, transposing the setting from midsummer Franconia to Shrovetide in the Rhineland. The carnival celebrations in this part of the world have a well-established format that fits the story well. It is also a very political event, with politicians and authority figures caricatured and lampooned, something Stiehl employs effectively against the modern-day despots he depicts.
The political dimension of the staging becomes explicit in the riot scene. The Night Watchman appears incongruously dressed as Chairman Mao, and then as the violence erupts, puppets appear representing Putin, Trump, Marie Le Pen, and the leaders of Germany´s far-right AfD party.
But the work´s final triumphant message is delivered effectively, with the chorus surrounding the audience in the auditorium, each holding a plaque with the name of a more worthy German artist of recent times: the true heirs to Sachs´s legacy.
OperaNow, 8.10.2024
Ein mahnender Geniestreich
Mit meisterlicher Personenführung verbindet Aron Stiehl die sperrigen und die komischen Elemente der „Meistersinger“ zu einem Spektakel mit Tiefgang und Aha-Momenten.
Mit leichter Hand stellt Aron Stiehl solche Verweise auf die dunklen Seiten der Rezeptionsgeschichte neben das Komische, Humoreske der von Wagner als Satyrspiel auf den „Tristan“ verstandenen „Meistersinger“. Was ihm daraus entsteht, ist ein pralles Spektakel mit Witz und Tiefgang, das von der Menschenkenntnis des genauen Beobachters Stiehl lebt.
Schon die Andacht in der Katharinenkirche, inszeniert als Chorprobe, ist ein kleines Meisterstück.
Bis zur kleinsten Statistenrolle hat jede und jeder hier einen eigenen Charakter, eine eigene Rolle im bunten Gewühl mit System. Vom schalstrickenden Musikfan über den selbstvergessenen Lesenden bis zum zickigen ersten Sopran. Gekonnte Personalführung.
Dass er mit der Beckmesser-Harfe auf der Bühne stehen kann, ist wieder so ein Moment, der dem Talent des Regisseurs, Menschen zu sehen und aus sich herauszulocken, zu verdanken ist. Johanna Welsch, Harfenistin im Beethoven Orchester, war mit diesem entzückenden Cameo-Auftritt eine echte Bereicherung. Wann sieht man sonst schon mal, wer die Töne der Laute produziert, die Beckmesser gern beigegeben wird, und vor allem: womit.
Ganz ungeniert hat Aron Stiehl den Zuschauerraum und die Loge mit in sein Konzept einbezogen. Aus der Loge lässt auch der Nachtwächter seinen Stundenruf erschallen. Aus der ersten Reihe singt Beckmesser einen Teil seines Werbegesangs.
In der Prügelszene erscheinen geisterhaft Putin, Le Pen, Trump, Höcke, Weidel als „Pappköpp“… ja, der Wahn kann sich jederzeit wieder Bahn brechen.
Das Premierenpublikum antwortete mit einem langanhaltenden, tosenden sowie stehenden Applaus für eine absolut sehenswerte Produktion.
Opern.News, 10.07.24
Karneval auf der Festwiese
Richard Wagners “Meistersinger von Nürnberg” erleben in Aron Stiehls Bonner Neueinstudierung eine umjubelte Premiere.
Noch bevor Bonns Generalmusikdirektor Dirk Kaftan dem Beethoven Orchester am Donnertagabend den Einsatz zum Vorspiel von Richard Wagners Oper „Die Meistersinger von Nürnberg“ gab, ertönte ein einsamer Buhruf. Der entzündete sich an einem alten Film, der das goldene Hakenkreuz über der Haupttribüne des Nürnberger Reichstagsgeländer zeigt. Als wollte dieser Buhruf sagen: „O nein, nicht schon wieder Nazis auf der Bühne, das haben wir nun wirklich oft genug gehabt.“ Die Sprengung des Hakenkreuzes, die wenige Sekunden später über die Leinwand flimmert, löst dann aber nicht nur den Beginn der forsch gespielten Ouvertüre aus, sondern auch zustimmenden Beifall im Publikum.
Die Aktion der Amerikaner vom 22. April 1945 gilt als Symbol für das Ende des „Dritten Reiches“. Dass man rechtsradikales Gedankengut jedoch nicht einfach mit einer Ladung Dynamit aus der Welt schaffen kann, gehört zu den Dingen, die der Regisseur Aron Stiehl im Opernhaus in seiner kurzweiligen Neuinszenierung von Wagners einziger komischen Oper erzählt. Auch ohne die Nationalsozialisten des Dritten Reiches auf die Bühne zu holen.
Eine der bemerkenswertesten Leistungen der Inszenierung ist es, zu erreichen, dass wir als Zuschauer ihn trotz seiner charakterlichen Schwächen zu lieben lernen. Der Bariton Joachim Golz setzt das so brillant um, dass sein Beckmesser zum umjubelten Star der Inszenierung wird.
Umso drastischer wirkt der Kontrast zu der Hetzjagd auf ihn.
Plötzlich herrscht Pogromstimmung im biederen Gemeindesaal. Und auf der Bühne schauen riesige Puppen mit den Konterfeis von Putin, Trump, Höcke, Weidel, Meloni und Le Pen dem schlimmen Treiben mit Genugtuung zu.
Überhaupt ist der dritte Akt mit Festwiese und „Heil“-Rufen immer eine heikle Sache. Stiehl inszeniert sie wie eine Karnevalssitzung mit den Meistern als Elferrat, der vor einem altertümlichen Prospekt mit Rhein und alter Brücke die in mittelalterlichen Kostümen verkleideten Repräsentanten der Zünfte empfängt. Das funktioniert sehr gut. Wenn dann am Ende Sachs dem siegreichen Stolzing ans Herz legt: „Verachtet mir die Meister nicht!“ flutet der Chor die Gänge des Zuschauerraums, große Pappschilder haltend, auf denen Namen zahlloser deutscher Meister zu lesen sind – darunter auch viele jüdische wie Felix Mendelsohn Bartholdy oder Else Lasker-Schüler. Großer Jubel!
General-Anzeiger, 5.10.2024
Nürnberg liegt am Rhein
Aron Stiehl verlegt Richard Wagners „Die Meistersinger von Nürnberg“ am Tag der Deutschen Einheit von der Pegnitz an den Rhein und zeigt passend und präzise, wie politisch doch der Karneval ist.
Das Eis, auf dem sich Humanität und Aufklärung bewegen, ist immerfort dünn. Regisseur Aron Stiehl lässt es in der Massenprügelei des zweiten Aufzugs einbrechen. Kunst und Republik stürzen zurück in Chaos und Gewalt, sobald sich der gesellschaftliche Konsens arg lädiert zeigt. Zerwürfnisse zwischen den Milieus – ob nun Aristokratie und Bürgertum, Handwerkern und Akademikern, Traditionalisten und Avantgardisten oder entlang heutiger Bruchlinien bleibt sich gleich – gefährden die mühsam errungenen zivilgesellschaftlichen Standards.
Ein Video spielt die Sprengung des Hakenkreuzes auf dem Nürnberger Reichsparteitagsgelände ein. Mit der braunen Bande scheinen die Leute fertig. Wenn aber die Spannungen und Konflikte in der Keilerei des zweiten Aufzugs eskalieren, bricht die Vertäfelung von den Wänden des Vereinsheims. Dies, um den Blick auf verborgene Naziadler mit dem Kranz für das Hakenkreuz in den Fängen freizugeben. Es bedarf schon eines Moderators wie Hans Sachs, um dem Schlimmsten zu wehren. Welchen Verzicht er sich dabei auferlegt, das schildert Stiehl intensiv in des Schusterpoeten Beziehung zu Eva, beiderseits hatte sich eine echte Liebesgeschichte angebahnt.
Concerti, 4.10.2024
Als vor der Ouvertüre das Nürnberger Parteitagsgelände mit dem prangenden Hakenkreuz auf der Leinwand erschien, erschallte ein zaghafter Buh-Ruf und ein hörbares Stöhnen des Publikums.
Stehende Ovationen des Publikums schon nach dem ersten Akt, auch für das Regieteam, das mit der Verlegung des Nürnberg des 16. Jahrhunderts in den Karneval des Bonn der früheren 50er Jahre den Nagel auf den Kopf getroffen hat. Es ist eine Absage an alle Problematisierungen der letzten Jahre. Die alten Nazis sind tot, die Symbole wie das Hakenkreuz gesprengt und verboten. Allerdings fallen am Ende des zweiten Akts Paneele von der Wand und enthüllen alte Reichsadler, Feindbilder sind jetzt politische Akteure der Neuzeit wie Donald Trump, Vladimir Putin, Alice Weidel, Marie Le Pen und Giorgia Meloni, die als spukende Pappköpfe währen der Prügelfuge auftauchen.
Goltz gibt genau den Pedanten und Erbsenzähler, der in vielen Teams vorkommt, ohne zur Karikatur zu werden. Er bekam nach dem Vortrag seines ursprünglichen von Sachs gestörten Werbelieds an die in der Intendantenloge stehenden vermeintliche Eva mitten im zweiten Akt Szenenapplaus. Das habe ich bei Wagner noch nie erlebt.
Das Opernmagazin, 5.10.2024
Meisterliche Meistersinger mit Putin, Trump, Höcke und Weidel
Die Oper Bonn startet in die Spielzeit 2024/25 mit einer beeindruckenden Neuinszenierung von Richard Wagners „Meistersinger von Nürnberg“.
„Ehrt Eure deutschen Meister, dann bannt Ihr gute Geister!“ rauscht es durchs Theater. Der Chor ist an beiden Seiten auf voller Länge des Zuschauerraums aufgetreten, zusätzlich noch auf der Bühne, die Sänger und Sängerinnen erzeugen einen Rundumklang, der durch den ganzen Körper geht.
Der Chor hält Schilder mit den Namen deutscher Meister hoch, naheliegende wie Martin Luther, Immanuel Kant oder Gustav Mahler, nicht so bekannte wie Designer Otl Aicher oder Bauhaus-Künstlerin Gunta Stölzl, überraschende wie Komiker Karl Valentin, Maler Jörg Immendorf oder Autor Saša Stanišić. Künstlerische Größe gibt es in allen Epochen und Genres.
Dieser Schlusschor ist ein überraschender und beeindruckender Abschluss der großartigen Neuproduktionen der „Meistersinger von Nürnberg“ der Oper Bonn.
Ja, auch zum Lachen gibt es in dieser Produktion einiges, sogar über den Geist Richard Wagners, wenn er in großem Bühnennebel erscheint und per Briefchen mitteilt: „Kinder, macht Neues!“
Regisseur Aron Stiehl fügt die verschiedenen Ebenen von Anfang an bündig zusammen – die Beziehungen der Figuren, das Thema Tradition/Innovation in der Kunst und als Meta-Ebene die Frage: Wie viel Altes, das wir abgelegt glaubten, lauert noch hinter der Fassade des Nachkriegs-Neubeginns?
Im Tumult am Ende des zweiten Akts platzen zwei Paneele seitlich der Bühne-auf-der-Bühne ab und enthüllen, dass die alten Reichsadler und Hakenkreuze dahinter immer noch da sind.
Das ist Regietheater, das Spaß macht – da es komplett mit dem Stück geht und mit der Aussage in die Gegenwart weist.
So kann die Schlussszene auf dem Wiesenplan eine fröhliche Karnevalssitzung werden, die Zünfte als Karnevalsgesellschaften auftreten und die Meistersinger als Elferrat. Das geht natürlich nur im Rheinland, aber hier ziemlich gut.
Auf dem naiv gemalten Prospekt im Hintergrund ist dabei Bonn zu sehen, bis er durch ein Portal in der Brandmauer weggerissen wird wie in ein schwarzes Loch. Wenn man nicht wachsam bleibt, ist der Spaß schnell vorbei und die Geister der Vergangenheit sind wieder da, sagt dieses Stück auch. Dafür gibt es stehenden Applaus und große Begeisterung, vor allem unmittelbar nach dem ergreifenden Chorfinale und den guten Geistern.
Kölnische Rundschau, 4.10.2024
Die Oper Bonn feiert die deutschen Meister am Tag der Deutschen Einheit
Das Theater Bonn eröffnet seine Opernsaison mit der Oper „Die Meistersinger von Nürnberg“ von Richard Wagner. Dabei nutzt der Regisseur Aron Stiehl die Gelegenheit der Premiere am „Tag der Deutschen Einheit“, um an die vielen deutschen Meister aller Richtungen zu erinnern.
Im ersten Moment sind die Zuschauer geschockt, denn noch vor dem Anfang der Ouvertüre wird auf einer Leinwand das goldene Hakenkreuz über der Haupttribüne des Zeppelinfeldes in Nürnberg und dessen Sprengung gezeigt. Bekommt man jetzt wieder einen abgenutzten politischen Schinken aufgetischt? Dann… Beruhigung: Nein! Der Zuschauer kann sich auf die Musik und die Handlung auf der Bühne konzentrieren. Die Sprengung ist der Startschuss in eine neue Zeit, auch wenn hier und da noch Anzeichen der alten und leider auch heutigen faschistischen Sippschaft auftauchen.
Es gibt einige politische Aussagen, die dezent, aber sehr klug und vielaussagend in die Inszenierung eingeflochten sind. Bei der Prügelei am Ende des 2. Aktes zeigt der Regisseur, wie aus den Karnevalsumzügen bekannt, riesige Pappköpfe heutiger faschistisch populistischer Politiker (Putin, Trump, Meloni, Le Pen, Höcker, Weidel), als klare Aussage, dass es Ziel derer Politik ist, Unruhe und Zwist zwischen Menschen zu sähen. Hans Sachs steht dabei abseits der Bühne und sieht dieser Szene entsetzt zu.
Beeindruckend die Schlussszene des Abends: Nach der Schlussansprache von Hans Sachs „Verachtet mir die Meister nicht“, strömt der Chor in den Zuschauersaal und jeder Sänger hält bei den Worten: „Ehrt eure deutschen Meister“, einen Pappkarton hoch mit dem Namen eben einer dieser großen deutschen Meister aller Gattungen. Am „Tag der Deutschen Einheit“ fand ich das als Nicht-Deutscher ein ausdrucksvolles Zeichen, da ansonsten die „deutsche Identität“ eigentlich nur beim Fußballspielen öffentlich gezeigt wird.
Das Publikum ist am Schluss von der Aufführung begeistert.
Klassik-begeistert, 5.10.2024
Stiehls Inszenierung erdet die Verschmelzung auf sinnfällige Weise. Das Publikum folgt seiner Intention und bejubelt alle Mitwirkenden einschließlich das Regieteams lang und ausdauernd.
O-Ton, 5.10.2024
Stiehls Regie nimmt hier einen roten Faden wieder auf, den er bereits vor den ersten Tönen des Werks mit der Filmaufnahme eines gesprengten Hakenkreuzes ausgelegt und mit der Prügelfuge fortgesponnen hat: Das lustige Nachkriegs-Völkchen hat die dunkle Vergangenheit zwar hinter sich gelassen, doch bei der nächtlichen Prügelei löst sich auch die Wandverkleidung der Halle und gibt den Blick auf zuvor verdeckte Nazi-Symbole frei. Nächtliche Albraumgestalten kommen wie Diktatoren und rechte Politiker unserer Zeit daher (ein Putin-Kopf steht für den Wahn), und Sachsens Schlussansprache wird zum pathetischen Appell, sich der Kunst zu vergewissern, um den Drohungen des Chaos zu widerstehen. Auf den Pappschildern, mit denen Chor und Extrachor klangmächtig das Publikum umgeben, reihen sich auch Elfriede Jelinek oder Saša Stanišić – ebenfalls deutsche Meister. Die Kunst, aber auch der Karneval sind die vom Publikum euphorisch beklatschten Mittel der humanen Gesellschaft gegen „Üble Streiche“.
theater:pur, 10/2024
Beeindruckende Spielzeiteröffnung gipfelt in spektakulärer Kundgebung für die Freiheit der Kunst
Die häufig missverstandene Schlussansprache des Sachs, die Warnung vor dem Zerfall des deutschen Volks und Reichs „in falscher welscher Majestät“, womit nach der Wahl Karls V. zum deutschen Kaiser die Dominanz des Spanischen, später des Italienischen und Französischen gemeint ist, löst eine Demonstration eigener Art aus. An beiden Parkettseiten halten Choristen Schilder mit den Namen des Tafelsilbers der deutschsprachigen Intelligenzia hoch. Das Spektrum reicht von Anette von Droste-Hülshoff und Marlene Dietrich bis Thomas Mann und Viktor Ullmann.
Die Beschwörung der Größen des Geistes und der Wissenschaft verknüpft Stiehl mit der sehr heutigen Bedrohung der Kultur und ihrer Voraussetzungen, Toleranz, Frieden und die Freiheit des Wortes.
Die Kundgebung wird vom Publikum mit spontanem Beifall quittiert.
Das Publikum bejubelt alle Mitwirkenden einschließlich des Regieteams lang und ausdauernd. Zahlreiche Vorhänge und lebhafte Diskussionen hernach.
Opera Online, 11/2024
Wenn nun in Bonn am „Tag der Deutschen Einheit“ diese Oper Premiere hat, in einer Zeit, in der überall im Land eine als rechtsextrem eingestufte Partei Wahlerfolge feiert, mag das auf den ersten Blick ein Geschmäckle haben. Doch Regisseur Aron Stiehl steuert in seiner Inszenierung von Anfang an dagegen. Während man beim Vorspiel in einer Videoprojektion ein Gebäude sieht, auf dem majestätisch das Emblem der Nationalsozialisten prangt, was im Publikum erste Beunruhigungen und Unmutsbekundungen auslöst, wird das Emblem weggesprengt, was mit Beifall kommentiert wird…
Hier ist es wieder die Beckmesser-Szene, die am besten gelingt. Was dieser hier gemeinsam mit der Harfenistin, die von zwei Statisten umworben wird, für einen Witz entfacht, wenn er Eva ein Ständchen bringen will, ist Komik vom Feinsten.
Das Opernglas, 11/2024