Il barbiere di Siviglia
Oper von Gioachino Rossini
Theater Münster
Musikalische Leitung: Fabrizio Ventura/
Hendrik Vestmann
Bühne/Kostüme: Friedrich Eggert
Pressestimmen
Bravos und Botox für Münsters „Barbier von Sevilla“
Normalerweise werden im „Barbier von Sevilla“ nur die Haare abgeschnitten. In Münster hingegen auch Arme, Beine und Nasen. Die Inszenierung der Oper von Gioacchino Rossini in einer Schönheitsklinik brachte einen Hauch von „Rocky Horror Show“ in das ehrwürdige Stück und unterhielt das Publikum prächtig – lange wurde im Großen Haus nicht mehr so gelacht. Ein Wunderwerk der Choreografie ist Figaros Auftrittsarie „Largo al factotum“ in einem schwulen Friseursalon mit rosa Klimbim, Ledersklaven, explodierender Trockenhaube und lebenden Hunden – dafür gibt es spontanen Jubel. Entzückend auch Bartolos großes Sprechzimmer mit italienischem Meerespanorama vor dem Fenster. Am Horizont sinkt die „Costa Concordia“ noch schneller als die Moral der Charaktere. So endete die erste Premiere in der Ära des neuen Intendanten Ulrich Peters mit großem Applaus.
Münstersche Zeitung, 9.9.2012
Auf dem Höhepunkt seiner Arie sollte die plappernde, musikalisch berauschende Selbstverliebtheit des Haar-„Künstlers“ Figaro eigentlich ein Ende finden. Denn seine Kunden sind zunehmend verärgert: Da wird plötzlich – sozusagen als besondere Persönlichkeit des öffentlichen Lebens – ein Hund hereingetragen, lässt sich widerstandslos das Fell „bearbeiten“ und in einen Kurzhaar-Vierbeiner verwandeln. Da muss eine Kundin anstelle ihrer eigentlichen Lockenpracht mit unspektakulär glattem, einfachen Stufenschnitt Vorlieb nehmen. Münsters Premierenpublikum lachte und tobte vor Begeisterung. Mit pädagogischem Geschick baut Stiehl seine kritische Gesellschaftssatire auf. Im Sprechzimmer des Dr. Bartolo hängen Nachbildungen des Lampenhimmels des münsterschen Theaters. Und vor Beginn des 1. und 2. Aktes gibt’s Publikumsbelustigung: Berta, die Haushälterin Bartolos, plaudert zum Pausenende aus dem „Nähkästchen“. Süßigkeiten werden zu Beginn der Oper in den Orchestergraben und ins Parkett geworfenen. Und Fiorillo, der Diener Almavivas, holt Orchestermusiker aus dem Graben, die sich beamtenmäßig umständlich und langsam an den in der ersten Reihe sitzenden Zuschauern vorbeidrängeln und wunderbar zur anschließenden, gräflichen Kavatine auf der Bühne aufspielen. Die folgende Szene nutzt Stiehl folgerichtig, um lärmende Lohnforderungen – nicht Dankbarkeit wie es der italienische Text vermuten lassen könnte – anzudeuten. Bühnen- und Kostümbildner Fritz Eggert setzt Drehbühne und Seitenprospekt ein, um den Zuschauer immer wieder mit nahtlos aneinandergereihten neuen Räumlichkeiten und Apparaturen des Schönheits- und Gruselkabinetts zu überraschen. Witzig, spritzig werden hier Fortschrittsgläubigkeit sowie vermeintlich technische Unfehlbarkeit aufs Korn genommen. Zugleich verwandelt Stiehl die Komik der Takt akzentuierten und automatisierten Rossini-Musik in mechanische Bewegungsmuster. Während zunächst, an den entsprechenden statischen Stellen der Musik, hier und da Einzelne beginnen, sich als selbstentfremdet und fremdbestimmt wahrzunehmen, ungewollte Hand- oder Kopfbewegungen ihres Körpers zu bemerken und auszuführen, entwickeln sich die ratternden Finali zu wunderbar grotesken, in Zeitlupe ausgeführten Maschinen-Choreographien. Langanhaltender Applaus und Bravi waren die Belohung für einen großartigen Opernabend.
Online Musik Magazin, 9.9.2012
Ein Frisörsalon wie ein Szenetreff: silbrig und pink, glitzernd und blinkend. Mittendrin Figaro. Ganz Starfriseur, besingt er sich selbst. Hinter ihm verschludert seine tuntige Crew die Frisuren der Kunden. Plötzlich eine Stichflamme: Der Haartrockner explodiert. Ist das der „zündenden Spielzeitaufakt“, als den Münsters neuer Intendant Ulrich Peters den „Barbier von Sevilla“ angekündigt hatte, bevor sich der Vorhang hob? Aron Stiehl inszeniert turbulent, mit viel Situationskomik und Parodie. Dass allerdings die Komödie nur eine Spielart des Tragischen ist, illustriert Stiehl im Finale des 1. Akts. Zu Rossinis auftürmenden Crescendi agieren seine Schauspieler wie an Fäden gezogene Marionetten: Nicht in ihren Händen, nur am Zufall liegt es, wie sich die Dinge wenden. Das oberflächliche Gefühlsleben von Rossinis Figuren überträgt Stiehl in die Scheinwelt der Schönheitsoperationen. Durch diese Welt schlängelt sich Figaro. Ein Brad-Pitt-Verschnitt mit blond gestriegeltem Haar und Dreitagebart. Bei seinem Gegenspieler Dr. Bartolo hat Silvio Berlusconi Pate gestanden, als Symbol der menschlichen Eitelkeit, sich mit Geld den perfekten Körper zu erschaffen. Bartolos Mündel Rosina arbeitet als Sprechstundenhilfe – ein kaugummikauendes Pin-Up-Girl in minikurzer Uniform. Während sie vom Liebsten schwärmt, malträtiert sie eine Patientin mit überdimensionalen Botox-Spritzen im Takt ihrer Koloraturen. Wenn Bartolo mit dem Hammer narkotisiert oder Figaro zur Fluchtszene eine zu kurz geratene Leiter nach der anderen anschleppt, parodiert der Slapstick sich selbst. Am Rande hat Stiehl liebevoll einige Details ausgearbeitet. Hinter Bartolos Fenstern lockt ein kitschiges italienisches Küstenpanorama inklusive Kreuzfahrtschiff. Dieses entpuppt sich als „Costa Concordia“, die in Endlosschleife wie ein buntes Schattenspiel übers Meer gleitet und sinkt.
Soester Anzeiger, 10.9.2012
Bartolo macht Bunga Bunga
Regisseur Aron Stiehl, der nächstes Jahr bei den Bayreuther Festspielen inszenieren wird, versteht sein Handwerk. Er aktualisiert die komödiantische Handlung: Doktor Bartolo, der gern sein reiches Mündel Rosina heiraten möchte, ist ein Wiedergänger Silvio Berlusconis.Außerdem ist dieser Bunga-Bunga-Bartolo Schönheitschirurg und damit ein Konkurrent des ebenfalls um die Äußerlichkeiten seiner Kunden bemühten Barbier Figaro. Da werden Damen die Brüste aufgebläht, in einer Fettwegmaschine störende Kilos entfernt. Sogar ein Zottelhund verwandelt sich in einen Kurzhaarwauwau. Echte Tiere auf der Bühne, Szenen mit großer Pointendichte, die effektvoll eingesetzte Drehbühne und ein frisch spielendes und temperamentvoll singendes Ensemble – der „Barbier“ in Münster hat ohne Zweifel großen Unterhaltungswert. Das Publikum jubelte lang und herzlich.
Deutschlandradio Kultur, 8.9.2012
Am Ende herrscht gute Laune in Münster Großem Haus, der neue Intendant Ulrich Peters kann seinen ersten Erfolg verbuchen. Weil Regisseur Aron Stiehl aus Rossinis komischer Oper „Der Barbier von Sevilla“ eine flotte Posse mit Musik gemacht hat. Besonders viel Spaß scheint der Regisseur mit den Herren von Chor und Extrachor gehabt zu haben. Das teilt sich schon mit, wenn Fiorillo sie während der Ouvertüre als scheinbare Instrumentalisten aus dem Graben auf die Bühne lockt, wo sie nicht nur schön singen, sondern auch eine hinreißende Pantomime bieten. Die Traumsequenz, die Regisseur Aron Stiehl zur Gewitterszene des zweiten Akts ersonnen hat, zeigt, dass er’s auch poetischer kann.
Münsterländische Volkszeitung, 8.9.2012
Ein Schönheitschirurg, der aussieht wie Silvio Berlusconi, ergo selbst sein bester Kunde ist und sich die Botox-Injektionen dutzendweise ins Gesicht sticht; dazu ein rosarot gekleideter Figaro und eine Rosina als Krankenschwester, farblich in feinstem Milka-Lila gehalten. Knallig und bunt ist er, der Rossini-Barbiere, den Aron Stiehl als erste Premiere der Intendanz von Ulrich Peters im Theater Münster präsentiert. Und knallig und bunt bleibt er bis zum Schluss. Stiehl zaubert einen Gag nach dem anderen auf die unaufhörlich sich bewegende Drehbühne.
Theater Pur, 9.9.2012
Regisseur Stiehl, der zum großen Wagner-Jubiläum 2013 für Leipzig und Bayreuth „Das Liebesverbot“ inszenieren wird, läßt die Menschen gelegentlich wie Marionetten auftreten und steigert Groteskes bis zum Schaurigen, wenn etwa Doktor Bartolo während seiner Arie mit Axt und Säge auf seine Patientin losgeht, ihr Beine und Arme abtrennt, um sie dann in verschönter Form wieder anzunähen.
Das Opernglas, 10 2012
…da reitet er mit Hilfe seines Regisseurs Aron Stiehl schon erste Attacken – auf die Lachmuskeln des Publikums. Rossinis „Barbier von Sevilla“ wird mit lockerer Hand so keck und frisch serviert, wie man dieses Opernjuwel nicht allemal erlebt.
Die Glocke, 17.9.2012