Madama Butterfly
Oper von Giacomo Puccini
Theater St. Gallen
Musikalische Leitung: David Stern
Bühne: Jürgen Kirner
Kostüme: Dietlind Konold
Licht: Guido Petzold
Pressestimmen
Warten, hoffen, sterben: Aron Stiehl setzt Butterflys Schicksal bewegend in Szene
…Ein musikalisches Ereignis also, das durch die Inszenierung des in St. Gallen keineswegs unbekannten Regisseurs Aron Stiehl unterstrichen wird. Stiehl läßt das Bühnengeschehen ganz aus der Musik heraus sich ereignen. Behutsam und mit Respekt vor der Vorlage überträgt er «Madama Butterfly» in eine Bildersprache der Gegenwart. Nicht um 1900 lässt er das Stück spielen, sondern heute, und sein Nagasaki ist eine der typischen asiatischen Metropolen. Ohne das Stück brachial in eine andere Richtung umzubiegen und ohne aufdringliche Reize einzusetzen, macht er klar, dass im Milieu des Sextourismus von heute die asiatische und die amerikanische Kultur aufeinanderprallen. Gezeigt wird dies keineswegs eindimensional, Stiehl erzählt die Geschichte mit all ihrer Vielschichtigkeit… Auf dieser Bühne findet Aron Stiehl Bilder, die an heutige Kunst – nicht zuletzt aus Asien – denken lassen. Er lässt die Personen mit dem Realismus spielen, den Puccini braucht, arbeitet aber auch mit dezenten Strukturen, die dem Abend eine klare Regiehandschrift geben. Eindrücklich etwa, wie zu Beginn des zweiten Aktes Suzuki und Cio-Cio-San symmetrisch in zwei Räumen gleichzeitig agieren, ohne dass daraus ein Schematismus entstehen würde, denn gleichzeitig kommen die Personen je individuell zur Geltung. Ein starkes und bewegendes Geben und Nehmen zwischen Musik und Inszenierung findet also statt; bemerkenswert, wie der Auftritt des Summ-Chores und das Zwischenspiel zwischen den beiden Teilen des zweiten Aktes als Traumsequenz bebildert werden. Solche für ein intelligentes Regiekonzept notwendigen kleinen Abweichungen von den Anweisungen des Librettos haben zu vereinzelten Premieren-Buhs geführt – welche prompt mit verdienten Standing Ovations gekontert wurden.
NZZ, 15.5.2010
Dem Theater St. Gallen gelingt eine Inszenierung von Puccinis Madama Butterfly, die ohne Anbiederung modern wirkt. Aron Stiehls und Jürgen Kirners Inszenierung und Bühnenbild zeigen eine Farbensymbolik, in der die Komplementärfarben Blau/Gelb, Rot/Türkis auf die Ambivalenz der Gefühle weisen. Wie das Kartenhaus Pinkertons bei der Hochzeit gleich in sich zusammenfällt, so zerrissen sind die Gefühle. Die Dramatik dieser Szene ist bestechend. Licht (Guido Petzold) und Kostüme (Dietlind Konold) spiegeln Tradition und Gegenwart der japanischen Kultur, aber auch den Gegensatz zur amerikanischen. Cio-Cio-San, gefangen in einer rigiden japanischen Kultur der Ehre und ausgeliefert der Skrupellosigkeit des fremden Amerikaners, macht die Story modern. So gelingt der Regie ohne Anbiederung an eine Modernisierung ein packendes Sittengemälde. Die Wirklichkeit ist auf Symbole reduziert: Fächer, Amerika-Fahne, Matrosenmütze, Buddhafigürchen. Cio-Cio-San packt ihre Sachen, akzeptiert ihr Schicksal, gross wie eine Antigone. Die Homogenität dieser Inszenierung ist bemerkenswert.
St. Galler Tagblatt, 15.5.2010
Eine standing ovation des zu Recht begeisterten Publikums beschloss diese Premiere von Puccinis MADAMA BUTTERFLY. Aron Stiehl verzichtete nicht auf die dem Werk immanenten gesellschaftskritischen Elemente. Pinkerton war der Kaugummi kauende, smarte All American Boy und seine spätere Gemahlin Kate war die eiskalte, besitzergreifende, unbeholfene und mit der Situation völlig überforderte Blondine. Besonders augenfällig wurde die aussergewöhnlich prägnante Charakterisierungskunst des Regisseurs in der Figur der Suzuki: Zu Beginn war sie die westlich gekleidete Göre (mit Minirock und Leggins), der auch Pinkerton hinterherhechelte, legte dann jedoch auf Geheiss Goros die traditionelle japanische Kleidung an und wurde im zweiten und dritten Akt zur mitfühlenden Leidensgenossin Cio-Cio-Sans… Butterfly vollzieht den Selbstmord, nachdem sie sich das Kruzifix vom Hals gerissen und sich wieder dem Shintoismus zugewendet hat, vor den Augen des eintretenden Pinkerton – eine starke Frau bis zum Schluss, erschütternd dagegen die männliche (Pinkertons) Hilflosigkeit; auch dies jedoch sind Zeugnisse der intensiven Personenführung des Regisseurs. Überzeugend die Idee des Regisseurs, dass die „falsche“ Hochzeitsgesellschaft nach diesem Auftritt die traditionellen Kostüme sofort ablegt und sich feige in ihren Alltagskostümen von dannen macht. So gelang es vortrefflich, das Aufeinanderprallen der Kulturen sichtbar zu machen. Bereits auf dem Zwischenvorhang sind die Lichter der modernen Grossstadt zu sehen, japanische und westliche Lichtreklamen prägen das Strassenbild, die eigene Identität ist verloren gegangen. Nach der Abreise Pinkertons ist der schmucke japanische Garten, welchen sich Pinkerton aus dem Katalog gekauft hat, verschwunden. Cio-Cio-San lebt in einem zugigen Verschlag, die dünnen Wände zieren Lady Liberty Plakate (Symbol für Freedom and Hope), ein abgewetztes Sofa mit schmuddeliger Stars-and-Stripes Flagge bildet die Inneneinrichtung, die Armut ist offensichtlich. (Welch ein Gegensatz zur lackierten Zürcher Design-Inneneinrichtung…). Immer wieder jedoch wird der Himmel in unterschiedlichen, visionären Farben sichtbar, keimt Hoffnung auf. Doch schon bald wieder wird er von der tristen Grosstadtkulisse verdrängt. So auch während des wunderbar intonierten Summchors: Cio-Cio-San wähnt sich nochmals in den Armen Pinkertons, die kostümierte Hochzeitsgesellschaft umgibt das Paar. Doch zum Einsetzen des vortrefflich gespielten Intermezzos verschwindet der Traum, Cio-Cio-San wird konfrontiert mit der brutalen Erkenntnis, dass Pinkerton nicht zurückkehren wird. Einer der vielen Momente dieser Produktion, welcher Gänsehaut, Erschauern und echte Rührung hervorzurufen vermag. Fazit: Stimmig, intelligent und ergreifend. Eine szenisch und musikalisch wunderbare Produktion!
oper aktuell, 15.5.2010
Regisseur Aron Stiehl macht den Zusammenprall zweier Welten nicht nur optisch deutlich, sondern auch in der Führung der Personen, in kleinen Details wie etwa dem Ausziehen der Schuhe vor dem Betreten des Hauses. Oder auch in der Behutsamkeit, mit der die zum Christentum übergetretene Cio-Cio-San all die kleinen verehrenswürdigen Gegenstände ihrer bisherigen Religion in eine Schachtel legt und diese wohl verschlossen einer kleinen Götterstatue anvertraut. Im Zentrum der Inszenierung stehen die Menschen, vor allem Cio-Cio-San oder eben Madama Butterfly, die zwischen ihrer eigenen Kultur und der neuen hin- und hergerissen ist. Präzise gezeichnet sind schließlich auch die Nebenfiguren, besonders der kleine Sohn von Madama Butterfly und die spärlichen, doch gesanglich und in ihrer szenischen Präsenz genau gestalteten Chorpartien.
Südkurier, 15.5.2010